Wir müssen – Anders! – Denken!

Der Artikel wurde am 20.01.2023 aktuallisiert oder erweitert.

Ein offener Brief an alle Menschen, die behindert sind oder nicht, gesund, eingeschränkt oder dauerhaft krank. Ein offener Brief an die verantwortliche Politik auf Landesebene und im Bund. Ein Brief, an alle Menschen, die ihre Perspektive wechseln und den Fakt der Neurodiversität neu Denken wollen.

Ein Brief an alle Menschen, die wollen, dass alleine mehr als 35% der Betroffenen und teilweise schwer kranken Menschen in Deutschland mehr Respekt entgegen gebracht wird und wir Betroffenen alle ein würdevolles Leben leben können und es uns allen gut geht. Der Wunsch an das Jahr 2023, diesen Keim zu pflanzen, dass er wachsen darf.

Inhalt

  1. Warum Autismus Anders! Denken?
  2. Es muß Anders! gedacht werden
  3. Wir sind Alle! neurodivers
  4. Menschen mit einer Behinderung
  5. Neurodivers = behindert + nicht behindert
  6. Anders! – und nach vorne Denken

Warum Autismus ANDERS! Denken?

Das Thema Autismus kommt immer mehr aus einer Nischen-Behinderung in die Wahrnehmung der Menschen. Blogs entstehen, in den Sozialen Medien bilden sich riesige Gruppen rund um diese Welt. Mediziner und Fachleute der Psyche nehmen sich intensiver des Themas an. Autismus schafft es inzwischen in die präsenten vorderen Seiten der Zeitungen und wird im TV diskutiert. Es gibt zudem viele Reportagen zu Autismus. Neue Methoden werden entwickelt, um Kindern und Jugendlichen den Alltag zu erleichtern.

Es passiert viel, was ich persönlich sehr gut finde und sehe wie sich das Thema Autismus in den letzten Jahren weiter entwickelt hat.

Jedoch es wird nur ÜBER Autismus und Autisten/innen gesprochen. Die, die am meisten VON Autismus wissen, diesen Menschen wird nicht zugehört! Den Fachleuten, die wie kein anderer besser verstehen, was es bedeutet, Autist/in zu sein.

Denn wenn man nicht nur ÜBER, sondern endlich mit uns VON Autismus sprechen würde, könnte man feststellen, dass das, was neurotypische Menschen planen, konstruieren, trainieren und als Unterstützung anbieten in weiten Teilen nichts anderes ist, als die übergriffige Umsetzung, Autisten für eine neurotypische Welt "kompatibel" zu machen. Schön verpackt mit dem Wort "Intergration", jedoch aus unserer Sicht werden wir exkludiert.

Greta Thunberg, Autistin und mit jungen Jahren schon erfolgreiche Kämpferin für das Klima ist für mich das beste Beispiel, wie wenig neurotypische Menschen (Allisten) über Autismus verstehen und ihre Empathie nicht dem entspricht, von dem neurotypische Menschen immer sprechen, dass sie uns (den Autisten/innen) fehlen würde.

Man arbeitet sich an ihrem jungen Alter ab, lästert über ihre Zöpfe, macht sich lustig über ihre Gesichtsmimik – und "alle" machen mit … nein, nicht alle, Autisten tun dies nicht. Sie sprechen nur über das von ihr vorgebrachte Thema, ihre Inhalte zum Klima. Denn wir wollen Inhalte verstehen, egal wie jung ein Mensch ist, der sie hochbringt.

Und dafür muss man Autismus Anders! Denken.

Autismus muß Anders! gedacht werden

Alle diese Maßnahmen und Beschreibungen zeigen zwar das Leid auf, welches wir Autisten durch neurotypische Welten erfahren, haben leider nur eines zur Folge: es gibt Lagerdiskussionen. Wir (neurotypische Menschen / Allisten) und ihr die (Autisten). Ich höre immer nur Du/ihr solltet dies, ihr braucht hier jenes, da habt ihr einen Mangel usw.

Blickt man die letzten Jahre zurück, sieht man Entwicklungen, die aber in Summe nur eines bewirkt haben, dass es uns Autisten nicht wirklich besser geht, sondern durch Trainigs wie ABA (siehe mein Blog) bereits Kinder so in seelische Not kommen und mit 8 Jahren1 über Suizid1 sprechen!

Mit welchem Recht glauben neurotypische Menschen, dass ihre Vorgehensweisen und ihre Denkstrukturen die richtigen sind? – Schauen wir uns den Planeten an, der von neurotypischen Menschen ausgebeutet wird, mehr als die Hälfte der Menschen in Armut leben muss und jedes Jahr 5 Millionen Kinder2 sterben, bevor sie das 5. Lebensjahr erreicht haben, dann bekommen wir die Antwort auf diese Frage.

Junge Menschen sprechen über Suizid, weil sie nicht mehr in eine Welt gezogen (exklutiert) werden wollen, in die sie nicht wollen und es für sie keinen Sinn macht, aber vor allem eine Welt, die ihnen nicht gut tut, die übrigens vielen nicht gut tut. Eine Welt, die ausistischen und neurotypischen Menschen immer mehr Kraft abverlangt und sie müde macht.

Wir müssen Anders! denken. Wir haben soviel Wissen zur Verfügung, wie die Menschheit noch niemals zur Verfügung hatte. Server voller Studien die frei zugänglich sind. Soziale Netzwerke, Video-Plattformen, Blogs und vieles mehr.

Jedoch es gelingt nicht, ein einfaches und simples Verständnis aufzubauen und einen einfachen Inhalt zu verstehen: es gibt nun einmal eine neurodiverse Welt. Es gibt nun einmal Menschen mit unterschiedlichen neurologischen Denkstrukturen. Alle Menschen sind unterschiedlich, jeder, hier, dort und auf der ganzen Welt.

Wir sind alle unterschiedlich in unseren neurologischen Denkstrukturen und somit einfach: neurodivers.

Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Fachleute der Psychology und Psychotherapie damit, in Millionen von Sitzungsstunden Männern und Frauen zu vermitteln, dass eben Männer und Frauen sehr unterschiedlich sind. Sicherlich auch ein hormoneller Hintergrund, keine Frage, jedoch wir, die vielen neurodiversen Menschen, haben uns noch nicht gefunden.

Frauen brauchen gerne mal 30 Minuten, um der Bedienung in einem Restaurant die Getränke durchzugeben. Männer … 30 Sekunden.

Und es gibt Gemeinsamkeiten, wie zB dass Frauen wie Männer Fußball spielen und die Frauen endlich auch in der Weltspitze des Fußballs angekommen sind.

Der Unterschied: Männer spucken auf den Rasen und Frauen nicht.

Wir sind Alle! neurodivers

Neurodivers Matters!

Neurodovers ist wichtig, denn wir sind alle eine große Gemeinschaft von vielen bunten Menschen in jedem der 178 Länder. Jeden in seiner Welt lassen und darüber nachdenken, wie man diese Welten verbinden kann, dass ist, was uns fehlt!

Zu Erkennen, dass wir Autisten wichtige Eigenschaften haben, die "Euch" neurotypischen Menschen leider fehlen. Neurotypische Menschen bewerten nicht rational, sondern sie werden emotional gesteuert. Wir Autisten bewerten eine Sache, trocken und rein auf den Inhalt bezogen. Wäre es nun folgerichtig, neurotypische Menschen nun als behindert zu bezeichnen, weil sie nicht rational bewerten könnt?

Nun, es läge nahe, da es das allgemeine Vorgehen der Kategorisierung ist, aber genau davon möchte ich ja weg und Anders! denken: denn, wir sind alle neurodivers.

Menschen mit einer Behinderung

Meine hier beschriebenen Betrachtungen betreffen Autisten im Bereich Level 1, die sogenannten hochfunktionellen (HFA) Autisten. Aus Sicht der (neurotypischen) Medizin benötigen Autisten mit:

  • Level 1 bereits Unterstützung, was für uns in einer neurotypisch gebauten Welt auch stimmt. Dann gibt es noch Autisten mit dem
  • Level 2 und Level 3. Menschen in diesen beiden Levels brauchen umfangreiche, bis hin zu sehr umfangreicher Unterstützung, was quasi einer "Rund-um-die-Uhr" Betreuung sehr Nahe kommt.

Es gibt auch viele andere behinderte Menschen, die nicht autistisch sind und auch wunderbar in diese Levels passen würden. Es gibt also Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung.

Und alle diese behinderten Menschen (inklusive der Autisten) werden ausgegrenzt, gemobbt und diskriminiert.

In Europa verstösst jede (!) Regierung eines Land gegen die (unterschriebene!) UN-Charta und landesweit gegen geltende Gesetze bezüglich der Rechte von Behinderten und diskriminiert Behinderte. Deutschland liegt da leider sehr weit vorne.

Alleine in Deutschland leben:

  • 11 Millionen behinderte Menschen 3,4,5 (inkl. Schwerbehinderter)
  • 17 Millionen Menschen Erwachsene4, die gesundheitliche Beeinträchtigungen oder chronische Krankheiten haben.
  • 28 Millionen (35,5%)6 Menschen in Deutschland haben "Gesundheitsbedingte Einschränkung bei alltäglichen Aktivitäten (stark oder mäßig über mindestens sechs Monate)"

Mehr als 35% der in Deutschland lebenden Menschen sind deutlich eingeschränkt und durch fehlende medizinische Unterstützung oder diskriminierende Maßnahmen ausgegrenzt. Dabei sind nur die in der Statistik, die medizinisch erfasst wurden. Wer krank ist und zum Arbeiten geht, ist nicht in der Menge der 35%

Wenn ich dann noch die jungen Menschen sehe, denen Kräfte ausgehen, weil in dieser Welt nicht mehr der Mensch im Vordergrund steht und man sich nicht mehr um die Menschen kümmert, die Hilfe und Support brauchen, dann frage ich mich ernsthaft, ob der neurotypische Weg wirklich so gut ist.

Alle diese eingeschränkten und behinderten Menschen werden mehr oder weniger diskriminiert und müssen schauen, wie sie von ausgebildeten Fachleuten, die nicht betroffen sind und nur darüber sprechen können, Unterstützung bekommen, die augenscheinlich das Leid in Summe nicht reduziert, denn die Zahlen steigen kontinuierlich an. Wo sitzen im Bundestag die Menschen, die VON Behinderung sprechen können, weil sie betroffen sind? Mehr als 1/3 der Menschen in Deutschland ist eingeschränkt und dennoch unterrepresentiert.

Neurodiversität = Alle Menschen

und alle Menschen beinhalten behinderte und nicht behinderte Menschen.

So einfach ist diese Formel!

80 Millionen Neurodiverse, bei denen es bestimmt ausreichend Fachkräfte gäbe, die sich von ehrenamtlich bis hin zu professionell um die eingeschränkten und behinderten Menschen kümmern würden, die durch ihre Einschränkung und ihre Behinderung kein würdevolles Leben in dieser neurotypischen Umwelt führen können.

Denn Treppen sind nicht nur für Rollstuhlfahrer schwierig. Laute und bunte Einkaufszentren stören nicht nur Autisten.

Fachkräftemangel? – wir haben keinen Mangel, wir haben fehlende Wertschätzung, fehlenden Respekt und fehlende Achtung vor den Fachleuten, die denen helfen, die mit Einschränkungen und Behinderungen am gemeinsamen Leben nicht oder nur bedingt teilhaben können oder wieder zurück ins Leben finden wollen. Dass ist der Kern des Problems. Von dem fast schon unverschämt geringen Gehalt mal ganz abgesehen.

Altenpfleger/innen, Krankenpfleger/innen, bis hin zu Kindergärtner/innen und Förderschullehrer/innen bekommen Applaus, jedoch keine Wertschätzung und viel zu wenig Geld für das was sie tun! Die Budgets dafür sind ein Witz. Da gibt es keinen Doppel-Wumms (=ca. 200 Milliarden Euro, Bundeskanzler Scholz) für Schulen, Equipment und gut ausgestattete Räumlichkeiten, in ausreichender Anzahl.

Jedoch, solange Gesundheit ein Wirtschaftsfaktor ist, so lange kranke Menschen "Geld kosten" und für eine Bundeswehr ein Doppel-Wumms (ca. 200 Mrd Euro) reicht und für das Gesundheitswesen gerade einmal ca. 48 Mrd Euro 7 nicht einmal ein Wumms zur Verfügung gestellt wird, so lange werden diese Menschen ausgegrenzt, entgegen geltender Gesetze und einer unterschriebenen UN-Charta.

Wir müssen vieles Anders! denken

Ich möchte Dich einladen, auch Anders! zu Denken – und auch nach vorne zu blicken. Mit fast 30 Millionen Betroffenen und ca. 35% der Menschen in Deutschland, sind zu viele krank, ausgegrenzt und diskriminiert, durch eine Behinderung und oder weitere Krankheiten (Komorbidität). Diese Menschen bekommen viel zu geringen Support von viel zu ausgelaugten Fachkräften und ihr Leben ist eine Qual. Die Dunkelziffer von kranken und behinderten Menschen wird deutlich höher sein – und die verantwortliche und gestaltenden Politik, also die, die wirklich über Gelder entscheiden können, lassen alle diese Menschen einfach zurück.

Ich möchte Dich einladen, neurodivers zu denken und die unterschiedlichen neuronalen Gehirnstrukturen, gepaart mit hormonellen, klimatischen und beruflichen Gegebenheiten (und vielem mehr) als eine große Gesellschaft zu sehen, in der "bunt sein" ein Recht für jeden ist, egal, was auch immer bunt ist. Dies erfordert, dass man seinen Standpunkt und seine Sichten hinterfragt und neu ausrichtet.

Lasst uns Alle! zusammen mitwirken, jeder wie er kann, dass wir Menschen wieder in den Vordergrund rücken und wir alle (inklusive Autisten) nicht nur das Recht, sondern auch die Möglichkeiten haben (=Umsetzung von Rechten), dass wir uns irgendwann einmal nicht mehr über mehr Würde, mehr Respekt und ein angemessenes Gehalt unterhalten, sondern alle miteinander zufrieden sind, gemeinschaftlich und auf Augenhöhe leben – und nicht mehr 8 jährige Kinder über Suizid nachdenken. Meine Tochter war etwas älter. Auch für sie gab es zu wenig fachliche Betreuung und nur oberflächliche Therapien, die ihr nicht die Hilfe gegeben haben, wie diese immer wieder auf den schönen bunten Prospekten beschrieben ist. Und auch sie versuchte in dieser ausgrenzenden Welt ihren Weg zu finden und hat auch über Suizid nachgedacht …

Wir müssen vieles – Anders! – denken.

Paul, 2023


Quellen/Hinweise/Fußnoten:

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay